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6 Intra- und interinstitutionelle Problem-bereiche


Aus der Analyse des Ist-Zustandes der drei GESIS-Institute sowie durch die Betrachtung der zu bewältigenden Arbeitsaufgaben haben sich neben dem zentralen Bereich, verschiedene Informationstypen innerhalb eines IR-Systems während eines Rechercheprozesses zu integieren, zahlreiche Ansatzpunkte für EDV-unterstütztes verteiltes Arbeiten bzw. sog. Workflow-Komponenten ergeben, mit denen effizienteres Arbeiten und deutliche Informationsgewinne hinsichtlich der Erschließung, Vermittlung und Aufbereitung von Information zu erwarten sind. Dies betrifft sowohl Strukturen innerhalb eines jeden Instituts als auch die Kooperation zwischen den Instituten, d. h. eine Integration intra- und interinstitutioneller Prozesse, auf die in den folgenden Kapiteln eingegangen wird.

6.1 Intrainstitutionelle Problembereiche

Auf der intrainstitutionellen Ebene existieren eine Vielzahl von Insellösungen, die hinsichtlich Oberflächengestaltung und Kommunikationsfähigkeit, d. h. Integrität mit anderen Applikationen, nicht mehr dem heutigen Stand der Technik entsprechen. Diese verlangen einerseits, bedingt durch die große Bandbreite der Bedienkonzepte, ein hohes Maß an Benutzerschulung bzw. -vorwissen. Eine weitere Folge dieser voneinander abgekoppelten Arbeitsprozesse und Insellösungen ist die Redundanz von Arbeitsschritten, die aufgrund der nicht gegebenen Kommunikationskanäle bzw. dem fehlenden Informationsaustausch mit anderen inhaltlich eng verwandten Komponenten entsteht. Beispiele hierfür sind die Redundanzen bei der Literaturbeschaffung am IZ oder auch die unterschiedlichen Adreßbestände verschiedenster Ausprägung an allen Instituten.

An allen GESIS-Instituten gibt es zentrale Domänen, die überhaupt noch keine EDV-Unterstützung erfahren. Ein Beispiel hierfür ist die Feldabteilung des ZUMA, die durch ein Fragebogenarchiv effizient in ihrer täglichen Arbeit bei der Benutzerberatung durch gezielten Rückgriff auf bereits früher erstellte Bögen unterstützt werden könnte.

6.2 Interinstitutionelle Problembereiche

Die interinstitutionellen Prozesse, d. h. die Abwicklung eines Projektes in seiner Ganzheit, angefangen von der Planung und Beratung einer Studie beim ZUMA, über die Akquirierung und Archivierung der Daten beim ZA bis hin zur Aufnahme eines Projekts und der entsprechenden Literatur in FORIS und SOLIS, werden zur Zeit noch nicht optimal unterstützt. Dies läßt sich beispielhaft am ALLBUS-Projekt (cf. Kap. 5) zeigen, da hier eine Vielzahl von Personen unterschiedlichster Aufgabengebiete mit der Bearbeitung gemeinsamer Daten bzw. Dokumente in unterschiedlichsten Entwicklungsstufen involviert sind. Diese Arbeitsteilung kann durch den Einsatz von Groupware-Systemen und darauf aufbauenden Workflow-Komponenten, für die Koordination von Gruppenarbeitsprozessen und die Verbesserung des Informationsflusses unterstützt werden. Zum Informationsfluß zählt hier neben dem Durchreichen der zu bearbeitenden "Primärdaten" (z. B. Literatur, Fragebögen) auch der Austausch von "Metainformationen" wie etwa Terminabsprachen zwischen einzelnen Beteiligten (cf. 7.1).

6.3 Integrierte Recherchekomponente auf der Basis heterogener Datenbestände

Das fehlende informationstechnologische Zusammengehen spiegelt sich bei der Benutzerberatung und Informationsvermittlung entsprechend wider. Es ist für keinen GESIS-Mitarbeiter möglich, in den Datenbeständen der Partner-Institute zu recherchieren, obwohl bei der Kundenberatung ein konkreter Bedarf nach einer integrativen Sicht auf die GESIS-Daten besteht, um z. B. zu einer laufenden Studie inhaltlich ähnliche Projekte oder Literatur zum Thema zu finden. Die Zusammenarbeit beschränkt sich in diesen Fällen auf den Verweis auf die jeweilige Partnerorganisation, was von allen betroffenene Mitarbeitern als Manko empfunden wird.

Ein grundlegendes Problem ist hier die Heterogenität der verschiedenen in den GESIS-Instituten eingesetzten Retrieval- und Informationssysteme (GRIPS, Messenger, ISYS, ZIS, DISI) hinsichtlich der Recherchesprachen und der Datentypen (Fakten, Texte). Effektive Recherchen verlangen vom Benutzer intime Kenntnisse der Datenbank-Schemata und (unterschiedlichen) Retrievalsprachen und sind somit immer noch eine Sache für Insider. Dies sind Voraussetzungen, die von einem sporadischen Informationssuchenden wie dem durchschnittlichen Sozialwissenschaftler nicht erwartet werden können.

Darüber hinaus wird die Suche nach Information aufgrund der Limitierungen der eingesetzten Datenbanksysteme erheblich eingeschränkt: Literatur-, Projekt- oder Studiennachweise sind als separate Informationseinheiten abgelegt, die untereinander nicht in Beziehung stehen. Beispielsweise ist es derzeit nicht möglich, dynamisch von einem GESIS-Bestand in einen anderen zu wechseln, sich über einen komplexeren, die klassischen GESIS-Datentypen (Literatur, Projekte, Skala, Datensatz) übersteigenden Zusammenhang, wie z. B. das Profil einer sozialwissenschaftlichen Institution oder die Entwicklung von Themen, zu informieren oder etwa ergebnisorientiert zu recherchieren. Man denke z. B. an eine zeitvergleichende Fragestellung, bei der der Benutzer einen Schwellenwert hinsichtlich der Anzahl von Singlehaushalten vorgibt (bspw. durch Manipulation der Statistiken im Codebuch) und das System zu einer entsprechenden Wohnstudie des Datenbestandskatalogs verzweigt, in der dieser Wert erreicht wird, sowie gleichzeitig kontextsensitiv adäquate Literatur zum Thema präsentiert.

Auch thematisch zusammengehörige textuelle Daten sind bislang noch nicht miteinander vernetzt. Dies wird an den Studienbeschreibungen des ZA-Datenbestandskatalogs deutlich, die nicht die ursprünglichen Frageformulierungen einer Studie enthalten, sondern lediglich eine Zusammenfassung hiervon. Ein gleichzeitiges Recherchieren in den Studienbeschreibungen und den konkreten Frageformulierungen in den Codebüchern ist allerdings nicht möglich, was eine Rückversicherung über die wahre Intention einer Frage und auch das Suchen nach detaillierten Inhalten verhindert.

Voraussetzung für ein Host-übergreifendes Dokumenten-Management vom individuellen Arbeitsplatz eines Sozialwissenschaftlers aus ist daher zunächst die Homogeniserung des Zugriffs auf die Datenbestände. Der Benutzer soll weder wissen müssen, wie noch wo die Daten physisch gespeichert sind. Um einen einheitlichen Zugriff auf große heterogene Datenbestände (strukturierte und unstrukturierte Daten) und ein integratives virtuelles Informationsmanagement herstellen zu können, müssen daher die unterschiedlichen technischen und formal-sprachlichen Zugangsformen zu den Datenbanken über eine gemeinsame Schnittstelle vereinheitlicht werden.

Für eine inhaltlich erfolgreiche Recherche ist aber nicht nur die Homogenisierung des Zugriffs auf die Datenbestände der GESIS erforderlich, sondern auch eine effektive Retrievalkomponente, die sachlich zusammengehörige Information aus heterogenen Datenbeständen aufeinanderbezieht und dem Benutzer als Informationspakete präsentiert (Idee des Virtuellen GESIS-Dokuments). Der Benutzer muß die Vorstellung haben, nur mit einer Datenbank zu kommunizieren, in der er dann allerdings nicht nur Informationen über sozialwissenschaftliche Literatur, Projekte und empirische Studien finden kann, sondern auch über komplexere Objekte (Institutionen, Personen, Konferenzen, Zeitschriften etc.), die sich aus den bislang auf separate Datenbanken verteilten Grunddatentypen zusammensetzen. Dazu ist ein intermediäres Metamodell der Basisdaten zu entwickeln, das verteilte Daten logisch aufeinander bezieht und informationelle Mehrwerte durch Informationsverdichtung erzeugt.

Längerfristig ist die Anreicherung mit intelligenten Werkzeugen notwendig, die z. B. eine Relevanzanalyse recherchierter Dokumente im Hinblick auf die Vagheit von Benutzeranfragen durchführen können. Von grundlegender Bedeutung ist auch die Modellierung kognitiver Suchmuster, die z. B. die gezielte Suche nach Überblicks- oder Spezialliteratur, inhaltlich ähnlichen, sich thematisch ergänzenden oder interdisziplinären Publikationen, Projekten oder Umfragen erlauben.


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