Richtlinie für die Veröffentlichung
von Ergebnissen der Wahlforschung
Diese Richtlinie wird herausgegeben vom
Arbeitskreis Deutscher Markt-
und Sozialforschungsinstitute e.V. (ADM),
der Arbeitsgemeinschaft Sozialwissenschaftlicher Institute e.V.
(ASI) und
dem Berufsverband Deutscher Markt-
und Sozialforscher e.V. (BVM).
Die Richtlinie wurde verfaßt, um
der unsachgemäßen Verwendung und Interpretation von
Ergebnissen vorzubeugen. So wird z.B. das Vertrauen in die Umfrageforschung
durch die Überinterpretation von Befunden der Wahlsoziologie
als Wahlprognosen, die in aller Regel keine Prognosen
sind und keine sein sollen, geschwächt. Ferner ist zur Beurteilung
der wissenschaftlichen Qualität von veröffentlichten
Ergebnissen der Umfrageforschung die Angabe bestimmter Grundinformationen
erforderlich. Anders als in den USA fehlen bei uns die erforderlichen
Angaben in aller Regel bei einschlägigen Veröffentlichungen.
Auf diese Probleme und Forderungen geht die Richtlinie ein. Sie
ist geeignet, die Arbeit u.a. der Journalisten zu erleichtern,
indem sie ihnen professionelle Standards an die Hand gibt. Wissenschaftliche
Vereinigungen, aber auch einzelne Wissenschaftler, sollten sich
nicht scheuen, in die Praxis zu wirken, wenn sie die Reputation
und die Qualität der empirischen Sozialforschung gefährdet
sehen und die Einhaltung professioneller Standards einfordern.
Wie auf allen anderen Gebieten der Markt-
und Sozialforschung gilt auch für die Wahlforschung die
Erklärung für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland
zum IHK/ESOMAR Internationalen Kodex für die Praxis der
Markt- und Sozialforschung. Sie wurde im Dezember 1994
vom Arbeitskreis Deutscher Markt- und Sozialforschungsinstitute
e.V. (ADM) und vom Berufsverband Deutscher Markt- und Sozialforscher
e.V. (BVM) herausgegeben. Im Oktober 1995 hat sich ihr auch die
Arbeitsgemeinschaft Sozialwissenschaftlicher Institute e.V. (ASI)
angeschlossen.
Diese Erklärung stellt zusammen mit
dem für die Bundesrepublik Deutschland geltenden Teil des
JHK/ESOMAR Internationalen Kodex für die Praxis der
Markt- und Sozialforschung wichtige Grundsätze des
Rechts der Markt- und Sozialforschung dar. Dieses Recht gilt
unmittelbar oder mittelbar auch für Auftraggeber, wenn sie
Institute mit der Durchführung von Studien beauftragen.
Die Auftraggeber müssen deshalb besorgt sein, daß
das beauftragte Institut in Übereinstimmung mit diesem Recht
forscht.
Für bestimmte Bereiche der Markt-
und Sozialforschung gelten zusätzlich die von den Verbänden
der deutschen Marktforschung herausgegebenen speziellen Richtlinien.
Auch um deren Einhaltung müssen neben den Forschern die
Auftraggeber besorgt sein.
1. Öffentliches Interesse
Eine Besonderheit der Wahlforschung besteht
darin, daß ihre Ergebnisse gewöhnlich auf ein größeres
öffentliches Interesse stoßen als die Ergebnisse von
Studien aus anderen Bereichen der Markt- und Sozialforschung.
Deshalb werden ihre Ergebnisse auch häufiger veröffentlicht
und in der Öffentlichkeit intensiver diskutiert. Oft ist
die Veröffentlichung der Ergebnisse sogar ein Hauptgrund
für die Durchführung von Studien. Es ist in der Wahlforschung
- wie in allen Bereichen der Markt- und Sozialforschung - wichtig
und notwendig, dafür Sorge zu tragen, daß sowohl dem
Auftraggeber als auch der Öffentlichkeit die Möglichkeiten
und Grenzen der Interpretation von Forschungsergebnissen bewußt
werden.
Die Ergebnisse der Wahlforschung sind Teil
des politischen Meinungsbildungsprozesses in einer demokratischen
Gesellschaft. Gesetzliche Beschränkungen bei der Veröffentlichung
von Ergebnissen der Wahlforschung sind deshalb politisch grundsätzlich
nicht gerechtfertigt. Einer Beschränkung steht auch Artikel
5 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland entgegen,
der die Meinungs- und Pressefreiheit sowie die Freiheit der Wissenschaft
garantiert.
Die vorliegende Richtlinie bezieht sich
in erster Linie auf die Veröffentlichung von Ergebnissen
der quantitativen Wahlforschung mit repräsentativen Bevölkerungsumfragen.
Für die qualitative Wahlforschung (z.B. Plakat- oder Slogantests
mittels Gruppendiskussionen) gelten grundsätzlich dieselben
Regeln bei der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen.
Allerdings müssen ihre Ergebnisse - wie in anderen Bereichen
der Markt- und Sozialforschung auch - unter wissenschaftlichen
Kriterien (z.B. Repräsentativität) anders dargestellt
und interpretiert werden.
2. Grundinformationen zur Untersuchung
Zur Beurteilung der wissenschaftlichen
Qualität einer Untersuchung und ihrer Ergebnisse sind mindestens
die folgenden Grundinformationen notwendig. Sie müssen vom
durchführenden Forschungsinstitut gegenüber dem Auftraggeber
der Untersuchung dokumentiert werden:
- Name des die Untersuchung durchführenden
Forschungsinstituts
- Zielgruppe der Untersuchung
- Zahl der befragten Personen (Stichprobengröße)
- Untersuchungszeitraum
- angewandte Stichproben-Methode
- angewandtes Erhebungsverfahren (mündliche,
schriftliche, telefonische Interviews)
- genauer Wortlaut der gestellten Fragen
- angewandte Gewichtungsverfahren
Darüber hinaus sind gerade im Bereich
der Wahlforschung zusätzliche Informationen über die
Anzahl bzw. den Anteil der Befragten, die mit weiß
nicht geantwortet oder keine Angabe gemacht
haben, notwendig, um die inhaltlichen Antwortverteilungen angemessen
interpretieren zu können. Bei der Abfrage von Parteipräferenzen
oder Wahlabsichten muß deshalb auch der Anteil der Befragten
ausgewiesen werden, die angegeben haben, keine Partei zu präferieren
bzw. nicht zur Wahl gehen zu wollen, oder noch unentschieden
sind.
Die Grundinformationen zur Untersuchung,
sind auch bei der Veröffentlichung von Ergebnissen der Wahlforschung
anzugeben. In welcher Form und welchem Umfang das geschieht,
ist in erster Linie abhängig von der Art der Publikation.
3. Verantwortlichkeit
Für die Veröffentlichung von
Ergebnissen der Wahlforschung gelten grundsätzlich dieselben
Regeln wie für andere Bereiche der Markt- und Sozialforschung.
Sie besagen im wesentlichen, daß klar zu unterscheiden
ist zwischen den Forschungsergebnissen als solchen und ihrer
Interpretation durch den Forscher. Bei Ergebnisinterpretationen
sind die anerkannten wissenschaftlich-methodischen Kriterien
zu beachten. Insbesondere müssen dabei die statistischen
Fehlertoleranzen berücksichtigt werden. Ferner besagen die
Regeln für die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen,
daß Forscher nicht wissentlich die Verbreitung von Schlußfolgerungen
aus einer Untersuchung zulassen dürfen, die durch die erhobenen
Daten nicht entsprechend belegt sind.
Bei der Veröffentlichung von Ergebnissen
der Wahlforschung ist zu unterscheiden zwischen einer Veröffentlichung
durch das die Untersuchung durchführende Institut und einer
Veröffentlichung durch den Auftraggeber der Untersuchung
oder eine andere Stelle.
4. Veröffentlichung durch das Institut
Ein Forschungsinstitut darf grundsätzlich
die Ergebnisse einer Untersuchung veröffentlichen, wenn
es die Untersuchung entweder aus eigenem Interesse durchgeführt
hat oder soweit eine Veröffentlichung mit dem Auftraggeber
der Untersuchung vertraglich vereinbart wurde bzw. er sich damit
einverstanden erklärt hat. Die Veröffentlichung von
Ergebnissen der Wahlforschung durch das durchführende Institut
sollte unter anderem die Leistungsfähigkeit der empirischen
Wahlforschung belegen, aber auch die Grenzen der Interpretation
der Ergebnisse bewußt machen. Dazu ist es notwendig, daß
bei der Publikation auch über die Art der Untersuchung informiert
wird. Sie lassen sich drei Typen zuordnen:
Es gibt aktuelle Messungen der Parteisympathien
oder der Parteipräferenzen in der Bevölkerung.
Diese Umfragen liefern ein Abbild der politischen Stimmungen,
die jedoch besonders bei größerer zeitlicher Distanz
zu einem Wahltermin nicht unbedingt verhaltensrelevant sind.
Politische Stimmungen drücken nicht aus, welche Anteile
in der Wählerschaft zum gegebenen Zeitpunkt tatsächlich
auf die einzelnen Parteien entfallen. Bei diesen Messungen wird
- beispielsweise entsprechend der Angaben zur Wahlentscheidung
bei der letzten Wahl - keine Umrechnung von Stimmungen in Stimmen
vorgenommen.
Des weiteren werden auf der Basis von Umfragedaten
aktuelle Wählerpotentiale berechnet. Hierfür
wird auch der Begriff Projektion verwendet. Berechnungen von
Wählerpotentialen bzw. Projektionen beziehen neben den Umfrageergebnissen
auf die sogenannte Sonntagsfrage auch externe Daten
und Erkenntnisse ein, insbesondere die Ergebnisse der letzten
Wahlen sowie relativ dauerhafte Verhaltens- und Einstellungsmuster
der Bevölkerung, um mit einer Modellrechnung den aktuellen
Anteil der Wählerschaft für die einzelnen Parteien
zu bestimmen. Auch die aktuellen Wählerpotentiale bzw. Projektionen
sind keine Wahlprognosen, da sie nur für den jeweiligen
Zeitpunkt der Messung gelten, nicht aber für den Wahltermin
selbst.
Schließlich gibt es - und das ist
nur ein Bruchteil der empirischen Wahlforschung - echte Wahlprognosen,
die zu einem wesentlichen Teil auf Umfragedaten basieren. Im
Regelfall wird auf der Grundlage mehrerer Umfragen, von denen
die letzte wenige Tage vor der Wahl durchgeführt wird, und
durch die Hinzuziehung externer Daten, mittels einer Modellrechnung
eine Vorhersage zum Ausgang der bevorstehenden Wahl gemacht.
Darüber hinaus haben die Institute
die bereits genannten Grundinformationen, die zur Beurteilung
der Aussagefähigkeit einer Untersuchung notwendig sind,
zusammen mit den Untersuchungsergebnissen zu veröffentlichen.
Wenn dies, abhängig von der Art der Veröffentlichung,
unverhältnismäßig wäre, sind die Institute
verpflichtet, auf Anfrage die entsprechenden Informationen zu
geben.
Veröffentlichungen von Ergebnissen
der Wahlforschung enthalten neben einer Darstellung häufig
eine Interpretation der Ergebnisse und eventuell darauf begründete
Empfehlungen. Interpretationen und Empfehlungen sind, soweit
sie von den Ergebnissen gestützt werden, ein Bestandteil
der angewandten empirischen Forschung. Nicht durch Ergebnisse
gestützte Interpretationen und Empfehlungen sind dagegen
kein Bestandteil empirischer Forschung, sondern persönliche
Ansichten und Überzeugungen. Sie sind deshalb bei der
Veröffentlichung von Ergebnissen der Wahlforschung zu unterlassen.
5. Veröffentlichung durch den Auftraggeber
oder eine andere Stelle
Da das durchführende Institut oft
keinen Einfluß auf die Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse
durch den Auftraggeber oder eine andere Stelle hat, kann es für
solche Veröffentlichungen gewöhnlich nicht verantwortlich
gemacht werden. Die Verantwortung dafür, daß die Veröffentlichung
der Ergebnisse nicht irreführend wirkt, liegt normalerweise
bei der veröffentlichenden Stelle. Das Institut ist jedoch
im Rahmen der Gesetze verpflichtet, geeignete Maßnahmen
zur Berichtigung falscher oder eindeutig irreführender Darstellungen
und Interpretationen der Untersuchungsergebnisse zu ergreifen,
wenn es von der Veröffentlichung Kenntnis erhält.
Weitergehende Informationen über die
den veröffentlichten Forschungsergebnissen zugrundeliegende
Untersuchung zu geben, ist den Instituten nur insoweit rechtlich
möglich, als dies mit dem Auftraggeber der Untersuchung
bei Auftragserteilung geregelt oder von diesem nachträglich
gestattet wurde. Dabei sind die Institute berechtigt, von dem
Empfänger der Informationen die Übernahme der dadurch
entstehenden Kosten zu verlangen.
6. Schlußbestimmungen
Diese Richtlinie ist Teil des Standesrechts
der deutschen Markt- und Sozialforschung, wie es sich aus dem
Gesetz und den methodischen Standards, aber auch
aus der Verkehrssitte und Selbstbeschränkungen ergibt.
Die in dieser Richtlinie dargelegten Prinzipien
und Verhaltensweisen begründen sich u.a. auf dem Recht
auf Forschung und den daraus resultierenden methodischen
Anforderungen sowie dem Recht auf Informationsfreiheit.
Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß sich bei einer
Begründung zu einem späteren Zeitpunkt oder durch andere
Instanzen andere, möglicherweise strengere Maßstäbe
für die Zulässigkeit der dargelegten Verhaltensweisen
ergeben.
Juli 1997
Korrespondenzanschrift:
Prof. Dr. Heinz Sahner
Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Sozialwissenschaftlicher
Institute e.V. (ASI)
Lennéstr. 30 D-53113 Bonn |